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Frühjahrslohnrunde 2018
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Monika Kemperle 1.127 Menschen kamen beim Einsturz des Rana Plaza ums Leben. Fast alle waren ArbeiterInnen von Textilfabriken
Mohammed Abu Taher Kemperle: Zwei Cent mehr pro T-Shirt könnten den Lohn in Bangladesch verdoppeln

Arbeiten auf Leben und Tod

Bangladesch: Katastrophale Sicherheitsbedingungen in den Textilfabriken

3,5 Millionen Menschen arbeiten in den Textilfabriken Bangladeschs. Für einen Lohn, der nicht zum Leben reicht, sind sie Sicherheitsmängeln ausgesetzt, die tödlich sein können.

Am 23. April wurden an den Mauern des Rana Plaza in Savar nahe der Hauptstadt Dhaka Risse entdeckt, die Behörde empfahl ein Betretungsverbot für das achtstöckige Gebäude. Die Geschäfte und die Bank, die in den unteren Stockwerken untergebracht waren, blieben am nächsten Tag daher geschlossen, ihre Beschäftigten durften zu Hause bleiben. Im Gegensatz dazu mussten die ArbeiterInnen der vier Textilfabriken, die sich in den oberen Stockwerken befanden, am 24. April 2013 wie jeden Tag zur Arbeit erscheinen. Kurz nach Arbeitsbeginn brach das Rana Plaza unter der Belastung der Produktionsstätten, für die das Gebäude nie ausgelegt war, in sich zusammen. 1.127 Menschen fanden den Tod, 2.500 wurden verletzt.

Fast 2.000 Todesopfer seit 2006

Rana Plaza ist kein Einzelfall. Erst im Jänner starben sieben ArbeiterInnen bei einem Feuer in einer Textilfabrik in Dhaka. Nur der Zufall verhinderte eine deutlich höhere Opferzahl, der Brand brach in der Mittagspause aus. Im November 2012 kamen beim Brand der Tazreen Fashion Fabrik in einem Vorort von Dhaka 112 ArbeiterInnen ums Leben, 200 wurden verletzt. Nach Angaben der Clean Clothes Kampagne verloren zwischen 2006 und 2012 mehr als 600 TextilarbeiterInnen in Bangladesch ihr Leben – die Opfer des Tazreen-Brandes noch nicht eingerechnet: weil Fabriken in Gebäuden untergebracht waren, die nicht dafür gebaut wurden, weil Elektroanschlüsse unsachgemäß installiert waren, weil Notausgänge blockiert oder nicht ausreichend vorhanden waren, weil Feuerlöscher nie gewartet wurden oder überhaupt fehlten.

Die Katastrophe von Savar unterscheidet sich nicht wesentlich von den anderen, außer in der Dimension. Mehr als 1.100 Todesopfer, das sorgt für weltweite Schlagzeilen auf den Titelblättern anstelle von Kurzmeldungen auf den Chronik-Seiten. Und das wiederum können auch die Regierung und der mächtige Arbeitgeberverband der Textilindustrie in Bangladesch nicht ignorieren. Einige Dutzend Fabriken wurden seither wegen Sicherheitsmängeln geschlossen.

Geschärftes Bewusstsein

„Seit Rana Plaza herrscht uns gegenüber zumindest eine größere Gesprächsbereitschaft als bisher“, sagt Mohammed Abu Taher, Generalsekretär der Textil-, Bekleidungs- und LederarbeiterInnengewerkschaft Bangladeschs und Mitglied des IndustriALL Bangladesh Council (IBC), der Anfang Juni auf Einladung der PRO-GE Wien besuchte. Geschenkt bekommen die Gewerkschaften aber auch im Angesicht der Katastrophe nichts. Derzeit verhandelt Abu Taher eine Entgeltfortzahlung für die Verletzten von Rana Plaza. Die Gewerkschaften verlangen zwölf Wochen, die Arbeitgeber sind gerade einmal zur Hälfte bereit. Geht es nach Abu Taher, sollten sie zusätzlich noch für Jobs für jene sorgen, die aufgrund bleibender Gesundheitsschäden ihrer bisherigen Arbeit nicht mehr werden nachgehen können.

Nur rund vier Prozent der 3,5 Millionen TextilarbeiterInnen sind gewerkschaftlich organisiert, viele kommen aus ländlichen Gebieten und haben von ArbeitnehmerInnenrechten oder Gewerkschaften noch nie gehört. In rund 150 von ca. 6.000 Betrieben sind Gewerkschaften vertreten. Auch bei den ArbeiterInnen hat das Unglück das Bewusstsein für die katastrophalen Sicherheitsvorkehrungen geschärft, berichtet Abu Taher und hofft, dass dadurch auch die Gewerkschaften als eine der wenigen aktiven Kräfte für bessere Arbeitsbedingungen im Land gestärkt werden.

Ein Meilenstein für die Sicherheit

Noch mehr als Regierung und Arbeitgeber in Bangladesch fürchten die internationalen Konzerne, die in dem asiatischen Land Bekleidung fertigen lassen, den Imageverlust. Unter der Ägide des internationalen Gewerkschaftsdachverbands IndustriALL Global Union entstand ein Abkommen für Gebäudesicherheit und Brandschutz, dem mittlerweile 50 internationale Marken beigetreten sind. „Das Abkommen ist ein historischer Meilenstein: Erstmals werden Maßnahmen verbindlich vereinbart, mit einem genauen Zeitplan und Sanktionen für Verstöße“, erklärt Monika Kemperle. Die IndustriALL-Generalsekretärin-Stellvertreterin, deren gewerkschaftliches Engagement als Betriebsrätin in einer Osttiroler Textilfabrik begann, war federführend an diesem Erfolg beteiligt.

Das Abkommen gilt für alle Zulieferbetriebe der unterzeichnenden Unternehmen, auch bei Untervergabe der Aufträge, und sieht unabhängige Sicherheitsinspektionen vor, deren Ergebnisse allen Beteiligten inklusive den VertreterInnen der ArbeiterInnen vor Ort vorzulegen sind. Werden schwerwiegende Mängel gefunden, müssen Reparaturen und Renovierungen verpflichtend durchgeführt werden. Die Unterzeichner bekennen sich ausdrücklich zum Recht der ArbeiterInnen, gefährliche Arbeit gemäß ILO-Konvention zu verweigern. Ein Kernstück des Abkommens ist die Kostenbeteiligung. Entsprechend ihrem Anteil am Gesamtvolumen der Textilproduktion im Land beteiligen sich die Markenfirmen mit jeweils bis zu 500.000 Dollar an der Finanzierung der Maßnahmen.

Kemperle verfolgt aber noch größere Ziele. „Was wir in Bangladesch vorfinden, passiert eins zu eins auch in Indien, Kambodscha oder Vietnam.“ Im pakistanischen Karachi kamen im September 2012 bei einem Brand in einer Textilfabrik 262 Menschen ums Leben, unter praktisch identen Umständen wie bei Tazreen. Das Abkommen soll daher bald über die Grenzen Bangladeschs als Vorbild wirken und äquivalente Verträge sollen im gesamten südostasiatischen Raum für die Sicherheit von TextilarbeiterInnen sorgen.

30 Euro Monatslohn

Es sind allerdings nicht nur die Arbeits-, sondern auch die Lebensbedingungen der TextilarbeiterInnen, die dringend verbessert gehören. Mit einem Mindestlohn von umgerechnet 39 Dollar im Monat, also rund 30 Euro, bei einem achtstündigen Arbeitstag rangiert Bangladesch selbst im asiatischen Raum als abgeschlagenes Schlusslicht. „Das reicht nicht einmal in Bangladesch zum Leben“, sagt Mohammed Abu Taher. „Die ArbeiterInnen sind gezwungen, zehn bis zwölf Stunden pro Tag zu arbeiten, um irgendwie über die Runden zu kommen.“ Die Gewerkschaften fordern daher „einen Lohn, von dem man auch leben kann“, und verlangen eine Erhöhung auf 120 Dollar. In Indonesien würden TextilarbeiterInnen 120 bis 150 Dollar, in Vietnam 180 und in China 200 Dollar verdienen, zählt der Gewerkschafter auf. „Warum sollte das nicht auch in Bangladesch möglich sein?“

Allerdings gesteht Abu Taher ein: „Realistisch erreichbar ist eine Erhöhung auf 60 Dollar, 100 Dollar wären ein toller Erfolg.“ Aus europäischer Sicht erscheint das immer noch erschreckend wenig, doch Monika Kemperle rückt die Proportionen weiter zurecht: „Mit zwei Eurocent mehr pro T-Shirt könnten die Löhne in Bangladesch verdoppelt werden. Mit zwölf Cent mehr könnte eine soziale Absicherung für alle TextilarbeiterInnen in Bangladesch finanziert werden.“

Die Verantwortlichkeit der Regierung

Nicht nur die Firmen, sondern auch die nationale Regierung sei gefordert, sich für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne einzusetzen, sagt Kemperle. „Wenn eine Regierung mehr auf ausländische Investoren hört als auf die eigene Bevölkerung, dann wird’s bedenklich.“ Kommenden Winter stehen in Bangladesch Wahlen an, nach Rana Plaza könnten die Rechte der TextilarbeiterInnen im Wahlkampf ein großes Thema werden. „Wie ernst es der Politik im Land damit ist, wird sich allerdings erst nach der Wahl zeigen“, ist Kemperle vorsichtig.

Mohammed Abu Taher beendet seine Gespräche mit österreichischen Journalistinnen und Journalisten während seines Wien-Aufenthalts immer mit denselben Worten. „Ich möchte Ihnen danken für die Berichterstattung über die Situation in Bangladesch“, sagt er ihnen dann stellvertretend für ihre Kolleginnen und Kollegen weltweit. „Die Fortschritte, die jetzt Form annehmen, wären sonst nie passiert.“ Die Katastrophe von Savar wird allerdings nicht ewig im Fokus der Medien bleiben. „Für die Entwicklung in Bangladesch wird entscheidend sein, dass eine internationale Öffentlichkeit der Situation der TextilarbeiterInnen weiterhin Aufmerksamkeit schenkt“, stellt Monika Kemperle fest, „hoffentlich nicht erst bei der nächsten tödlichen Katastrophe.“

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