topimage
PRO-GE
FrauenJugendBetriebsratPensionistInnen
Frühjahrslohnrunde 2018
Frühjahrslohnrunde 2018
Wolfgang Müller hat in China gearbeitet und ist jetzt bei der IG Metall Bayern zuständig für Schaeffler-Konzernbetreuung, Branchenpolitik Auto- und Zuliefererindustrie, internationale Gewerkschaftsarbeit

Arbeitswelt: Auf Abruf für Sonderbestellung aus Europa

Wolfgang Müller von der IG-Metall Bayern über die Zukunft der "Fabrik der Welt".

Experten-Interview zur Arbeitssituation in China

Glück auf!: Dank iPhones und iPads erzielte der taiwanesische Auftragsfertiger Foxconn im Vorjahr einen Gewinn von 2,4 Mrd. Euro. Der Konzern ist berüchtigt wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen und der geringen Entlohnung. Haben die negativen internationalen Schlagzeilen zu einer Verbesserung beigetragen?

Wolfgang Müller: Die negativen Schlagzeilen über Apple und Foxconn haben zunächst bewirkt, dass Apple seine PR-Maschine angeworfen hat. Plötzlich berichteten die westlichen Zeitungen, dass in den Foxconn-Werken Arbeitnehmervertreter gewählt und Betriebsgewerkschaften gegründet werden sollten. Als Foxconn-Arbeiter in verschiedenen Städten befragt wurden, wussten sie aber nichts davon. Insofern hat sich an den Arbeitsbedingungen bei Foxconn wenig geändert.

Bei einem Besuch in Chengdu, der Provinzhauptstadt von Sichuan, im November 2012 konnte eine IG Metall-Delegation das dortige Foxconn-Werk mit 90.000 (!) Beschäftigten nicht besuchen. Vertreter der Provinzgewerkschaft deuteten an, dass sie bei Foxconn auch „nichts zu melden haben“. Wahrscheinlich sind die Foxconn-Werke für die regionalen Arbeitsmärkte so wichtig, dass sie unter dem direkten Schutz des jeweiligen lokalen Parteichefs stehen.

Wie sieht es bei anderen Zulieferbetrieben in der Elektronikindustrie aus?

Generell sind die Arbeitsbedingungen in Chinas Elektronikindustrie sehr schlecht. Dazu kommt die Kasernierung der meist sehr jungen ArbeiterInnen. Sie leben auf dem Fabrikgelände, meist in großen Schlafsälen – jederzeit auf Abruf, wenn es von Vodafone oder MediaMarkt eine Sonderbestellung gibt.

TextilarbeiterInnen in Bangladesch verdienen knapp 30 Euro. In China, dem größten Lieferanten für Konfektionskleidung, verdienen die ArbeiterInnen mittlerweile rund 200 Euro pro Monat. Die Billig-Karawane ist also von China bereits nach Bangladesch weitergezogen. Wie geht es weiter?

China als "Fabrik der Welt" ist im internationalen Lohnkostenvergleich ziemlich teuer geworden. Wahrscheinlich teurer als die EU-Mitglieder Rumänien oder Bulgarien. Es war und ist das erklärte Ziel der chinesischen Wirtschaftspolitik, China in den weltweiten Wertschöpfungsketten höher zu positionieren.

Das schafft natürlich ein Problem für die westlichen Auftraggeber und für ihre Auftragsfertiger sowie Sub-Sub-Unternehmer. Die Karawane muss weiter ziehen auf der Suche nach Billig-Standorten. In Asien gibt es neben Bangladesch, Kambodscha oder Vietnam noch andere Ziele – z.B. die Philippinen oder Indonesien oder auch Indien. Ich habe gelesen, dass ein chinesischer Schuhproduzent, der im Auftrag westlicher Marken fertigt, jetzt ein Werk mit zunächst 10.000 Beschäftigten in Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien, errichtet.     
Andererseits ist China als Fabrik der Welt derzeit unschlagbar, was die Infrastruktur angeht. China hat ein sehr gut ausgebautes, modernes Autobahn- und Eisenbahnnetz und modernste Häfen und Flughäfen. Was nutzen Billigstlöhne, wenn die Ware nicht zum Kunden kommt?    

Wie sieht die Lohnentwicklung in China aus?

In allen Branchen sind die Löhne deutlich gestiegen. Experten erwarten auch für die nächsten Jahre einen Anstieg der Lohnkosten um 17 Prozent pro Jahr. Besonders in den Industriezentren werden die Arbeitskräfte knapp. Die Provinzregierungen haben die gesetzlichen Mindestlöhne allein 2011 zwischen 10% und 30%, angehoben. Weil es meist keine Tarifverträge gibt, die den Namen verdienen, ist der regional unterschiedliche gesetzliche Mindestlohn für viele Millionen ArbeitnehmerInnen in China die Referenzmarke. Ob sie den Mindestlohn aber auch ausgezahlt bekommen, ist eine andere Frage.

Auch europäische Firmen-Chefs meinen, es seien nicht die billigen Löhne, sondern die Absatzmärkte, die sie veranlassen, nach China zu verlagern. Viele österreichische Firmen investieren massiv in China. Wenn China seinen Billiglandstatus verliert, wird es dann nicht mehr so attraktiv für Produktionsauslagerungen?

Die Produktionsverlagerungen nach Asien und speziell nach China gehen weiter. Denn China ist als Riesenmarkt interessant, nicht mehr als Niedriglohn-Land. Die europäische und besonders die deutsche Auto- und Zulieferindustrie und der Maschinenbau exportieren heute einen Großteil ihrer Produktion nach China. China hat jahrelang die Werke in Deutschland oder Österreich ausgelastet. Wenn aber das Europageschäft dieser Kernbranchen auch längerfristig stagniert oder einbricht, während die Märkte in Asien und speziell China weiter wachsen, sind Verlagerungen programmiert.
 
Das hat nichts mit Niedriglöhnen oder mit dem sogenannten "China-Preis" zu tun. Sondern die Gewichte in der Weltwirtschaft verschieben sich. In Europa müssen wir aufpassen, dass wir unsere industriellen Kernkompetenzen behalten. Damit mit dem Maschinenbau oder mit der Autoindustrie, auf die wir so stolz sind, längerfristig nicht dasselbe passiert wie mit der europäischen Elektronik- oder Kameraindustrie. Das Weltzentrum für diese Branchen liegt längst in Ostasien.

In China gibt es keine unabhängigen Gewerkschaften. Welche Rolle spielt der Allchinesische Gewerkschaftsbund ACGB bei den Arbeitsbeziehungen?

Wahrscheinlich gibt es in China jeden Tag größere Arbeitskonflikte mit Produktionsstopps und Streiks. Wir erfahren nur von einem Bruchteil. 2010 gab es eine riesige Streikwelle, meistens organisiert von WanderarbeiterInnen, die unzufrieden waren über schlechte Bezahlung und zu viele Überstunden.

Das Problem: Der ACGB mit den Betriebsgewerkschaften als Basisorganisationen spielt in diesen Konflikten keine Rolle oder wendet sich gegen die Streikenden. Die vom Gesetz gegebenen Möglichkeiten werden nicht genutzt. Beratungen über Kollektivverträge auf Betriebsebene sind einseitige Ansagen der Manager, dass sie die Löhne z. B. um denselben Prozentsatz wie die Mindestlöhne erhöhen.

Verändert sich die Rolle des ACGB?

Der ACGB ist eine sozialbürokratische Organisation aus den Zeiten des Staatssozialismus und ist im realen chinesischen Kapitalismus noch nicht angekommen. Er kann nicht zwischen Arbeit und Kapital ausgleichen. Das wäre aber seine Aufgabe, wenn der soziale Frieden in China erhalten bleiben soll. Allerdings gibt es viele ermutigende Ansätze auf Betriebs- und auch auf Provinzebene. So wird im Perlflussdelta über die Einführung des Streikrechts und die Wahl der Führung der Betriebsgewerkschaft diskutiert. Die wird bislang meist von oben eingesetzt.

Artikel weiterempfehlen

Teilen |
Logo der Gewerkschaft PRO-GE
Suche
GO
Wien Niederösterreich Burgenland Steiermark Kärnten Oberösterreich Salzburg Tirol Vorarlberg
Facebook YouTube Flickr Issuu

© 2009, Gewerkschaft PRO-GEImpressum | Inhalt