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Univ.-Doz. Dr. Jörg Flecker Univ-Doz. Dr. Jörg Flecker

"Nicht auffressen lassen!"

Interview

Dr. Jörg Flecker über Arbeitszeiten, Trends und Herausforderungen.

Univ-Doz. Dr. Jörg Flecker ist wissenschaftlicher Leiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) mit den Arbeitsschwerpunkten Arbeitsorganisation, Arbeitsbeziehungen, Informationstechnik & Arbeit, Flexibilisierung, Internationalisierung.

Glück auf! Flexibilisierung der Arbeitszeit kann vielfältig gestaltet werden. Wo können ArbeitnehmerInnen profitieren, wo zahlen sie drauf?

Flecker: Profitieren können ArbeitnehmerInnen, wenn sie sich ihre Arbeitszeit besser einteilen und Arbeitsbeginn und -ende an ihre Bedürfnisse anpassen können. Aber mit Flexibilisierung ist in der Regel die Anpassung der Arbeitszeit an die betrieblichen Erfordernisse gemeint, ohne dass Überstunden anfallen. Das spart dem Unternehmen zweimal Kosten: Einmal durch den Wegfall der Überstundenzuschläge und ein weiteres Mal dadurch, dass die ArbeitnehmerInnen da sind, wenn viel zu tun ist, aber nicht da sind, wenn wenig Arbeit anfällt. Das heißt umgekehrt, dass die ArbeitnehmerInnen auch zweimal draufzahlen könnten: Weniger Lohn durch fehlende Überstundenzuschläge und mehr Druck in der Arbeit und weniger Zeit zum Reden und Anlernen. Problematisch werden flexible Arbeitszeiten vor allem dann, wenn die eigene Arbeitszeit nicht mehr planbar ist, etwa weil man häufig kurzfristig einspringen muss. Damit wird es beispielsweise sehr schwer, die Berufsarbeit und die Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen.

Glück auf! Die Fair-Teilung von Arbeit wird von einigen Interessenvertretungen angestrebt. Können damit tatsächlich wirtschaftliche Probleme aus der Welt geschaffen werden?

Flecker: Eine faire Verteilung der Arbeit erscheint mir aus beschäftigungs- und gesundheitspolitischen Gründen heute enorm wichtig. Nach vielen Jahrzehnten der schrittweisen Verkürzung der Arbeitszeit, insbesondere der Wochenarbeitszeit, ist dieser Prozess gegen Ende des 20. Jahrhunderts zum Stillstand gekommen. Doch die Produktivität vor allem in der Industrie stieg weiter kräftig an. Das bedeutet, dass für die gleiche Produktionsmenge weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Bei einem begrenzten Wirtschaftswachstum kann die Beschäftigung nur gehalten werden, wenn die Arbeitszeit verkürzt wird. Werden Arbeit und Einkommen auf mehr Personen verteilt, können auch mehr am Konsum teilhaben und mit ihrer Nachfrage für Wachstum sorgen. Allerdings befürchten viele ArbeitnehmerInnen zu Recht, dass ein kleiner Schritt der Arbeitszeitverkürzung nur zu mehr Arbeitsdruck und nicht zur Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte führt. Deshalb braucht es größere Schritte, Begleitmaßnahmen und neue Formen der Arbeitszeitverkürzung, etwa Auszeiten oder Bildungsteilzeit.

Glück auf! Die Arbeitszeit-Debatte gibt es nicht nur in Österreich. Welche Trends gibt es im europäischen Vergleich?

Flecker: Auch in anderen Ländern ist die Verkürzung der Wochenarbeitszeit zum Stillstand gekommen. Ausnahmen waren im letzten Jahrzehnt Frankreich und Belgien. Aber es geht in der Arbeitszeitpolitik nicht nur um die Wochenarbeitszeit. Genauso wichtig ist heute die Verteilung der Arbeitszeit über das ganze Berufsleben. Kann man zum Beispiel zwischendurch Teilzeit arbeiten, lässt sich die Berufsarbeit leichter an die eigenen Lebensumstände anpassen. In den Niederlanden haben ArbeitnehmerInnen ein Recht auf einen Umstieg von Voll- auf Teilzeit und wieder zurück. Eine andere Verteilung der Lebensarbeitszeit kann auch nötig sein, wenn jemand eine Auszeit braucht, etwa um sich weiterzubilden oder jemanden in der Familie zu pflegen. Gerade bei den Bildungsurlauben gibt es in einigen europäischen Ländern viel weiter gehende Modelle als in Österreich. So stehen allen Französinnen und Franzosen nicht nur 20 Stunden für bezahlte Kursbesuche pro Jahr zu, sie können auch darüber hinaus bezahlten Bildungsurlaub beantragen, der von einem Fonds finanziert wird. In Belgien hat man das Recht, so viele Stunden bezahlt frei zu bekommen, wie ein Kurs dauert - auch wenn dieser am Abend oder am Wochenende, also außerhalb der Arbeitszeit stattfindet. Damit soll die Belastung durch Weiterbildung gemildert werden.

Glück auf! Mit Kurzarbeit konnten (in der Krise) kurzfristige Engpässe überbrückt und Tausende Arbeitsplätze gerettet werden. Können daraus Erkenntnisse auch für die längerfristige Gestaltung der Arbeitszeitregelungen gezogen werden?

Flecker: Kurzarbeit hat in der Tat mitgeholfen, viele Beschäftigungsverhältnisse zu erhalten und noch mehr Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Da nicht zu erwarten ist, dass die Wirtschaft so stark wachsen wird, dass die Arbeitslosigkeit spürbar abgebaut werden kann, sollte die Arbeitszeit generell verkürzt werden, damit die Arbeit sich auf mehr Köpfe und Hände verteilt.

Glück auf! Die gesundheitlichen Auswirkungen von unregelmäßigen und langen Arbeitszeiten wurde lange Zeit wenig beachtet. Ist bereits ein Umdenkprozess im Gange?

Flecker: Die Kombination von hohem Arbeitsdruck und langen Arbeitszeiten lässt nicht nur die körperlichen, sondern auch die psychischen Belastungen ansteigen. Immer mehr Menschen sind dadurch von Berufsunfähigkeit betroffen. Zwar ist in den letzten Jahren viel von Stress und Burnout die Rede, doch ein Umdenken ist noch nicht zu erkennen. Nach wie vor gibt es hunderte Millionen Überstunden im Jahr und teils extrem lange Arbeitszeiten.

Glück auf! Zwischen Teilzeit und Überarbeitung: Verschwindet die Normalarbeitszeit aus unserer Arbeitswelt?

Flecker: Noch arbeiten sehr viele zwischen 36 und 40 Stunden in der Woche. Aber schon über 40 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit - häufig, weil die Kinderbetreuung sonst nicht klappt. Die vollzeitbeschäftigten Männer wiederum arbeiten in Österreich im Durchschnitt (!) 45 Stunden pro Woche, die vollzeitbeschäftigten Frauen mit 43 Stunden nicht viel weniger. Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass einerseits kurze Teilzeit, andererseits überlange Vollzeit zunehmen. Wir sollten auf ein neues Zeitmaß hinarbeiten, auf eine kurze Vollzeit für Frauen und Männer in der Größenordnung von 30 Stunden pro Woche, um diesem Trend zu begegnen.

Glück auf! Ihr Lebensmotto in puncto Arbeit?

Flecker: Nicht auffressen lassen, das Wochenende von Arbeit frei halten und immer Zeit für meine Tochter haben.

Das Interview ist in der März-Ausgabe des PRO-GE Mitgliedermagazins "Glück auf" erschienen.

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